energie.blog (e.b): Auf der einen Seite wird im Fachdiskurs von iMSys-Voll-Rollout und immer neuen Anwendungen für die Smart Meter Gateways geredet, auf der anderen Seite hört und liest man von Schnittstellenproblemen zwischen Gateway-Administrations- und Abrechnungssystemen, die den iMSys-Rollout bremsen. Letztlich hat man den Eindruck: Der iMSys-.Rollout stockt. Wie verhält sich das aus Ihrer Sicht mit Wunsch und Wirklichkeit?
Wengeler: Der Voll-Rollout liegt natürlich im Interesse der Hersteller. Auch Signale aus der Politik deuten ja mittlerweile in diese Richtung, getrieben durch die Digitalisierung der Energiewende. Klimaschutz haben sich ja alle möglichen Regierungsparteien als Ziel gesetzt. Da iMSys ein zentraler Bestandteil intelligenter Netze – erforderlich für das oben genannte Ziel – sind, sind die Vorgaben für mich in der Sache nachvollziehbar. Was dabei aber leider ausgeblendet wird: Ein Gesetz oder eine Verordnung ist schnell skizziert, aber wir haben bei der Umsetzung in der Praxis noch offene Baustellen, die Verzögerungen verursachen. Meine Wahrnehmung ist: Der Dialog in der Branche ist nun wichtig: Was wird schon beherrscht? Wo klemmt es? Wie löst man diese Probleme gemeinschaftlich? Nach wie vor fehlt es jedoch an den richtigen Rahmenbedingungen, weshalb alles zugegebenermaßen sehr lange dauert.
e.b: An welchem Punkt in der Prozesskette hapert es noch? Und warum?
Wengeler: Die Schnittstelle zwischen ERP-System und GWA-System wurde beim Aufstellen der Spielregeln bewusst nicht behördlich standardisiert. Das bedeutet, dass alle involvierten IT-Unternehmen in der Branche intensiv miteinander reden müssen, damit die Schnittstellen wie gewünscht funktionieren. Wir sind auf dem Weg dorthin. 2019 haben wir die ersten Gateways in Betrieb genommen, aber noch ohne Anbindung ans Abrechnungssystem. Bis Ende 2021 werden wir eine vierstellige Anzahl produktiver Gateways eingebaut haben, die auch an ein Abrechnungssystem angebunden sind. Das ist unter den gegebenen Umständen und mit Blick auf die Komplexität der Materie ein Erfolg. Aber es sind zwei Jahre vergangen.
e.b: Gibt es zu viele Anbieter von Gateways, GWA- und ERP-Software und demzufolge zu viele auszuprägende Schnittstellen, die den Stadtwerken das Leben schwermachen?
Wengeler: Nein, von zu vielen Herstellern würde ich nicht reden. Es gibt aktuell vier zertifizierte SMGW-Hersteller und jeweils rund ein halbes Dutzend Anbieter von GWA- und Billing-Software, mit denen wir es zu tun haben. Das ist überschaubar. Aber in puncto definierter Schnittstellen wünsche ich mir mehr konkrete Vorgaben oder Standards. Wir haben über 900 Stadtwerke in Deutschland, die datentechnisch unabhängig von der Marktrolle standardisiert sehr gut miteinander kommunizieren. Und die Situation wird mit jedem Update nicht einfacher. Umso wichtiger ist multilateraler Austausch zwischen den Systemanbietern untereinander, zwischen Systemanwendern und unserer Branche, aber auch ein Austausch der Stadtwerke untereinander. Hierfür versuchen wir mit unseren verschiedenen Info-Plattformen im smartOPTIMO-Netzwerk ein Forum zu schaffen.
e.b: Ist die 10-%-Quote noch zu schaffen?
Wengeler: Im smartOPTIMO-Netzwerk haben wir Stadtwerke, die optimistisch sagen: Ja, wir schaffen das, weil wir mittlerweile gut unterwegs sind. Andere Werke sind vorsichtiger mit einer Prognose, wähnen sich aber immerhin auf einem vernünftigen Weg zum Ziel. Diese Befindlichkeit deckt sich mit dem Stimmungsbild insgesamt: Für die gesamte Branche ist es eine sehr, sehr große Herausforderung, das noch zu schaffen. Das ist auch die Botschaft, die wir über die Verbände und im direkten Gespräch der Bundesnetzagentur übermitteln.
e.b: Fürchten Sie Sanktionen? Letztlich bedeutet das Verfehlen des 10-%-Ziels für Stadtwerke die Aberkennung der Grundzuständigkeit im Messwesen?
Wengeler: Dass es soweit kommt, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Wenn man sieht, dass die Politik bei der Gesetzgebung keine glückliche Hand hatte – siehe beispielsweise die Intervention durch das OVG-Urteil –, dass es hausgemachte technischen Schwierigkeiten gibt und dass die Corona-Pandemie sicherlich auch an der einen oder anderen Stelle Abläufe erschwert hat, kann man nicht ultimativ die Zielerreichung einfordern. Wir bummeln ja nicht, sondern wir haben ein vitales Interesse daran, dass Smart Metering ins Rollen kommt. Dafür wurde unser Unternehmen gegründet. Allerdings ist die Prozesskette, die wir aufbauen müssen, unheimlich komplex. Das alles darf nicht ausgeblendet werden. Ich glaube nicht, dass die Bundesnetzagentur dieses Damokles-Schwert auf uns niedersausen lässt. Beim Redispatch 2.0 erleben wir aktuell eine ähnliche Situation, dass definierte Prozesse nicht termingerecht umgesetzt werden konnten. Dies liegt teils auch an den noch nicht flächendeckend vorhandenen Smart Meter Gateways und fehlenden etablierten Prozessen, die man zum Schalten dezentraler Erzeugungsanlagen braucht. Aber um auf das 10-%-Ziel zurückzukommen: Noch ist der Zug ja nicht abgefahren.
e.b: Wann kommt der iMSys-Rollout denn in Schwung? Noch in diesem Jahr?
Wengeler: Es zeichnet sich ab, dass wir im nächsten Frühjahr die neue Marktverfügbarkeitserklärung bekommen und dass dann der Rollout richtig startet. Ein rasch wirksamer neuer rechtlicher Rahmen wäre elementar wichtig, um Handlungssicherheit zu haben. Andererseits beobachten wir in der täglichen Projektarbeit, dass die Systeme immer besser zueinander finden und die Datenaustauschprozesse stabiler laufen. Ich bin überzeugt, dass wir im nächsten Jahr einen riesigen Schub bekommen werden.
e.b: Sie haben auf die Bedeutung von Kooperation und Kommunikation hingewiesen, die smartOPTIMO unter den Netzwerkmitgliedern fördert. Warum ist beides – mit Blick auf ganz praktische Dinge – so wichtig und hilfreich?
Wengeler: Denken Sie an Themen wie Konzeptionierung, Gerätebeschaffung, Schnittstellenaufbau, Testen – bei diesen Dingen können wir hervorragend Skalierungseffekte nutzen. Wir befinden uns beispielsweise mit jedem ERP-Hersteller und den Stadtwerken, die diese Software jeweils nutzen, in Integrationsprojekten. Diese werden jeweils von einem Anbindungsmanager gesteuert, der alle Detailprojekte im Blick hat. Erst durch das Bündeln wird diese Aufgabe beherrschbar. Liefe es unkoordiniert, würde das sowohl die ERP-Anbieter als auch die Stadtwerke komplett überfordern. Dies ist auch vor dem Hintergrund ein wichtiger Aspekt, dass wir einen dramatischen Fachkräftemangel haben – gerade in unserem sehr speziellen Metier. Auch deshalb: Wir können es nur gemeinsam schaffen.
Der andere zentrale Vorteil der Netzwerkzugehörigkeit ist der fachliche Austausch. Aus dem Netzwerk höre ich immer wieder dankbare Stimmen, die mir spiegeln: Es ist für die Stadtwerke immens wichtig, dass Sie sich mit uns fachlich austauschen und nicht zuletzt auch untereinander reden können. Austausch ist für den Aufbau von Know-how und eine positive Grundstimmung immens wichtig.
e.b: Auf den Metering Days wird man Sie als Teilnehmer einer Podiumsdiskussion sehen. Welche Impulse erhoffen Sie sich von der diesjährigen Veranstaltung?
Wengeler: Erstens, dass die Politik klare Vorgaben und Rahmenbedingungen setzt. Zweitens, dass die Politik zugleich Verständnis für die Branche hat und erkennt, welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind. Und drittens, dass wir es schaffen, die Infrastruktur der Smart Meter Gateways mit smarten Lösungen und Produkten zum blühenden Leben zu erwecken.
e.b: Welche SMGW-Anwendungen sind Ihre primären Favoriten?
Wengeler: Ich sehe aktuell zwei Bereiche. Zum einen alle strombasierten Anwendungen, sei es nun zeit- und lastvariable Tarife oder die Steuerung von Ladesäulen, Speichern, Wärmepumpen und PV-Anlagen. Zum anderen Multi-Sparten und Submetering. Der Markt für Heizkosten-Abrechnung und das Messwesen der Versorgungswirtschaft wachsen zusammen. Beides lässt sich über das SMGW abbilden und organisieren
e.b: Welche Bedeutung hat das Smart Meter Gateway für die Energiewende?
Wengeler: Für mich ist es ohne Zweifel ein zentraler Enabler. Ich glaube, dass das Smart Meter Gateway gerade vor dem Hintergrund der aktuell durch die Decke schießenden Strom- und Gaspreise erheblich an Bedeutung gewinnen wird. Wer selbst Strom auf seinem Dach erzeugt, trägt zum Klimaschutz bei und macht sich von der Energiepreisentwicklung unabhängig. Der Trend zur dezentralen Stromerzeugung wird sich verstärken. Umso wichtiger werden intelligente Messsysteme und Smart Meter Gateways, um die neuen Energieflüsse im Stromnetz live messen und Erzeuger und Verbraucher intelligent steuern zu können. Ohne intelligente Messsysteme keine Smart Grids, ohne Smart Gids keine Energiewende. Ohne Energiewende kein Klimaschutz. Anders gesagt: Erst intelligente Messsysteme ermöglichen Klimaschutz.
e.b: Herr Dr. Wengeler, vielen Dank für das Gespräch!